Nepal: Die Honigjagd beginnt – Teil 6

26. Oktober 2019

Wir treffen uns auf einer Lichtung im Tal nahe dem Fluss Modi, um zur Honigjagd aufzubrechen. Anand Paudel, der Priester des Dorfes, sitzt bereits am Feuer und bereitet das Ritual zur Ehrung der Götter vor. Normalerweise wird dafür ein Hahn geschlachtet. Aber aus Rücksicht auf die Gruppe opfert er heute stattdessen ein paar Eier.

Anand Paudel, der Priester, bereitet die Opfergabe an die Götter vor: Eierfladen und Äpfel. Foto: Gert-Alf Schmiedel

In der Pfanne bereitet der 73-jährige daraus Fladen, die er später mit Äpfeln serviert. Ein Teil geht an die Götter, der Rest wird unter allen Teilnehmenden geteilt. Eine Stunde dauert die Zeremonie. Ohne den Segen der Götter findet keine Honigjagd statt. Auch wir als Zuschauer bekommen einen Punkt auf die Stirn und etwas von den Eierfladen zum Essen serviert. Über zehn Männer des Gurungklans sind heute für die Honigjagd gekommen.

Jeder Teilnehmer erhält den göttlichen Segen, damit niemandem etwas Böses bei der Honigjagd zustößt. Fotos: Nils Heichen

Auf Honigjagd bei den Kliffhonigbienen

Khadka Bahadur ist der Hauptjäger. Seit 21 Jahren erntet er den Honig aus den Waben der Kliffhonigbienen. Während alle mit den Vorbereitungen und dem Ritual beschäftigt sind, läuft er allein und fernab der Gruppe über die Wiesen, so als würde er sich mental auf die anstehende Jagd vorbereiten. In der Zwischenzeit sammeln die anderen Gurung Farne und Gräser, die sie zu Bündeln binden. Sie werden später bei der Jagd angezündet, um die Bienen mit dem Qualm von ihren Waben zu vertreiben.

Ein paar der Männer bereiten derweil die Strickleiter vor. Sie überprüfen das Seil, setzen neue Bambussprossen ein und bringen die Leiter dann zum Fluss, um sie im Wasser zu tränken. So verhindern sie, dass das Tau später Feuer fängt.

Am Ende des Rituals zündet der Priester die Kerze auf dem Teller mit Opfergaben an die Götter wie Reis und Äpfeln an.

Opfergabe vor der Honigjagd

Nach der Segnung aller Anwesenden bereitet Paudel den Platz für die Opfergabe an die Götter vor. Zuerst steckt er große und kleine Bambusstängel im Halbkreis in die Erde. Sie repräsentieren die verschiedenen Stämme, der Honigjäger und diejenigen von ihnen, die bei der Jagd ums Leben gekommen sind. In die Mitte stellt er einen Teller mit Reis, Blütenblättern und Äpfeln. Dann zündet er eine Kerze an und murmelt ein paar Worte. Er bittet die Götter um Verzeihung dafür, dass sie bei der Jagd etwas von den Bienen wegnehmen werden und um Schutz und Beistand, damit niemandem etwas passiert und die Jagd ein Erfolg wird.

Zwei der Gurung bringen die lange Leiter hinauf zur Felsklippe.

Dann bringen die Helfer die Leiter auf die Spitze der Klippe hinauf, unter der sich die Nester der Kliffhonigbiene befinden. Von hier werden die Honigjäger hinabsteigen. Während sie sich in Position bringen, begleiten uns ein paar der Gurung zu einer kleinen Lichtung nahe des Flussufers direkt gegenüber der Felswand. Von hier können wir das Schauspiel in sicherer Entfernung mitverfolgen.

Honigjagd ohne Schuhe und ohne Sicherung

Die Jagd beginnt. Priester und Honigjäger Anand Paudel steigt als erster hinab. Auf dem ersten Vorsprung steht ein Assistent, um später bei der Ausrichtung der Leiter zu helfen.

Wie dunkle Tropfen hängen die Nester der Kliffhonigbiene Apis laboriosa von den Felsvorsprüngen herab. Diese Bienenart baut freihängende Waben. Die Tiere selbst bilden mit ihren Körpern die Nesthülle und schützen den Honig und die Brut vor Kälte und Regen. Bis zu einem Meter kann eine Wabe werden. Wir zählen insgesamt elf Nester. Für die Ernte haben die Honigjäger drei dicht beieinander hängende Völker über einem Felsvorsprung gewählt.

Zwei Helfer lassen von oben die Leiter hinab. Zwei weitere dienen ein Stück weiter unten zur Assistenz bei der Ausrichtung der Leiter und dem Herablassen des Erntekorbes, in dem die Wabenstücke transportiert werden. Am Grund des Felsens stehen zwei weitere Gurung und tangieren die Leiter von unten mit einem langen Seil, was am Ende dieser befestigt ist.

Wir beobachten das Schauspiel von der gegenüberliegenden Seite, wenige Meter über dem Flussufer.

Mehrere Hundert Meter geht es in die Tiefe. Ein falscher Schritt und die Honigjäger stürzen in den sicheren Tod. Barfuß und ohne Sicherung steigt der Priester, der gleichzeitig auch einer der Jäger ist, als erster herab. Schritt für Schritt nähert er sich den riesigen Waben. Aber die Leiter hängt zu weit links. „Zieht ihn weiter rüber“ brüllen die anderen Gurung von unten. Schließlich korrigiert Paudel selbst seine Position. Auf der Leiter sitzend stößt er sich mit den Füßen von der Felswand ab und schwingt ein Stück nach rechts. Nun kann er den Felsvorsprung erreichen, über dem die Beute hängt. Er fixiert die Leiter am Fels.

Als Zweites steigt Khadka Bahadur, der Hauptjäger, hinab. Paudel sitzt entspannt auf dem Felsvorsprung und wartet. Mit einem qualmenden Bündel aus Gras und Farnwedeln vertreiben die Jäger die Bienen von den Waben.

Als Nächstes steigt Bahadur, der Hauptjäger, herab. An seinem Rücken hängen die langen Bambusstäbe, mit denen er die Waben vom Fels brechen wird. Als auch er sicher auf dem Vorsprung steht, lassen die Helfer das brennende Bündel aus Stroh und Farnwedeln herab. Geschickt fängt Bahadur es mit dem langen Bambusstab ab und zieht es zu sich. Kaum haben es die Jäger in die richtige Position gebracht, beginnen die Bienen von den Waben zu strömen. Von Weitem wirken sie wie eine dunkle Wolke aus kleinen schwarzen Punkten, die nervös über den Köpfen der Honigjäger schwirren. Schneeweiße lange Wabenzungen kommen zum Vorschein. Die Bienen haben erst vor ein paar Wochen begonnen hier ihre Nester zu errichten. Der Bau ist noch frisch.

Honigjagd ohne Erfolg

Paudel setzt seinen Hut ab. Das bedeutet, dass kaum Honig in den Waben ist. Die Bienen haben noch nicht genug Nektar gesammelt.

Als Nächstes sollen die Helfer den Korb für die Ernte herunterlassen. Doch plötzlich halten sie inne. Paudel zieht sich seinen Schleier vom Kopf. Die Gurung, die mit uns das Schauspiel von der anderen Seite des Flussufers beobachten, fangen an, wild durcheinanderzureden. „Wenn er den Schleier absetzt, bedeutet das, dass die Wabe kaum Honig enthält“, übersetzt Reiseleiter Binaya Neupane für uns das Geschehen. Das Volk hat noch nicht genug Nektar sammeln können in der kurzen Zeit.

Ob die Jagd doch noch ein Erfolg wird und ob die Honigjäger auch dieses Mal alles unbeschadet überstehen, lesen Sie in unserer nächsten Ausgabe.

Saskia Schneider



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