Initiativen und Kampagnen empfehlen Blumenwiesen statt kurzen Rasen. Wie der Lass-wachsen-Trend nicht zur Eintagsfliege wird, zeigen wir hier.
Spätestens seit der Krefelder Studie dürfte klar sein, dass die Menge der Insekten in Deutschland dramatisch abgenommen hat. Erst kürzlich bestätigte eine Studie diesen besorgniserregenden Trend auch hinsichtlich der Vielfalt der Insekten. Als Gegenmaßnahme wird häufig pauschal empfohlen, den eigenen Garten seltener zu mähen. Auch Initiativen wie der Mähfreie Mai setzen hier an. Der Baumarkt Hornbach bespielt sogar eine ganze Werbekampagne mit der Aussage „Lass die Natur mal machen“. In einem Werbevideo verwandelt sich ein Garten in ein verwunschenes Blühparadies. Doch funktioniert das wirklich so: Einfach wachsen lassen für mehr Blütenpracht und Artenvielfalt?
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Genug in der Samenbank?
Welche Kräuter und Blumen auf einer Fläche aufwachsen können, entscheidet die sogenannte Diasporen- oder Samenbank, die an einem Standort im Boden vorhanden ist. Viele Samen verbleiben Jahrzehnte – manchmal gar über hundert Jahre hinweg – keimungsfähig im Boden und warten dabei auf ihre Chance. Entscheidend ist daher, welche Nutzung der Boden in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, und ob großflächige Bodenabtragungen oder Aufschüttungen dazu geführt haben könnten, dass die Diasporenbank am Standort zerstört wurde.
Je nach den Vorbedingungen gibt es für den Garten verschiedene Möglichkeiten, blühende Stauden und Kräuter in die Fläche zu bekommen: Entweder wird diese komplett umgebrochen und von Konkurrenzkräutern und -gräsern befreit – hier gibt es verschiedene Möglichkeiten und Techniken – oder man bricht nur ein Teilstück der Fläche um und „impft“ dieses mit den gewünschten Pflanzen. Je nach Fläche ist es auch möglich, mit einer sogenannten Mahdgut-Übertragung Vielfalt an einem Standort herzustellen, oder – für ganz Geduldige – auf den Sameneintrag durch Tiere, Wind und Co. zu warten. Hierbei muss allerdings die Umgebung genug Vielfalt hergeben. Ist die Samenbank noch gut gefüllt, reicht es meist, die Fläche abzumagern (siehe unten) oder die obersten Zentimeter des Bodens abzutragen, um die Blumenwiese zu starten.
Während erstere Techniken eher im Garten- und Landschaftsbau angewandt werden, sind letztere Methoden naturverträglicher und weniger energieintensiv. Besonders im Naturschutz, wo auf die Entwicklung von nutzungshistorisch landschaftstypischen Pflanzengesellschaften achtgegeben wird, finden diese Anwendung. Als klassische „Blumenwiese“ wird dabei die Glatthaferwiese angesehen, andere Formen sind unterschiedliche Typen von Trockenrasen oder Nasswiesen.
Im Gegensatz zu einer klassichen Blumenwiese, die sich im Idealfall zu einer dauerhaft artenreichen Wiese entwickeln soll, hat sich aus der Landwirtschaft kommend in den letzten Jahren auch der Begriff „Blühfläche“ etabliert. Während auf Blühflächen oftmals billige und optisch ansprechende Saatmischungen mit einjährigen Ackerbeikräutern und nicht-heimischen Kulturpflanzen verwendet werden, die im Folgejahr schon wieder verschwinden oder neu angelegt werden müssen, entwickeln sich Blumenwiesen und Säume zu zeitlich relativ stabilen Pflanzengesellschaften. Muss bei einer Neuanlage von Blumenwiesen oder Säumen Saatgut zugeführt werden, wird idealerweise auf gebietsheimische Pflanzen achtgegeben, die für die heimische Fauna am besten verfügbar sind und bei der weiteren Vermehrung nicht zu sogenannten Florenverfälschungen führen.
Wer Wert auf Biodiversität legt, achtet daher auf mehrjährige Saatmischungen aus gebietsheimischen Herkünften oder – noch besser – auf im Boden oder der Umgebung bereits vorhandenes Saatgut. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Einjährige Blumen wie Mohn oder Kornblume haben auch ihre Berechtigung und tierischen Nutzer. Sie haben sich jedoch als raschwüchsige und kurzlebige Pflanzen auf offene Bodenflächen – meist Äcker – spezialisiert, die bei der Neuanlage einer langlebigen – und damit nachhaltigeren – Blumenwiese oft nur im ersten Jahr auftauchen.
Die richtigen Nährstoffe?
Durch den allgemeinen Rückgang von Grünland zugunsten von Äckern gibt heutzutage seltener große Flächen mit blühendem Löwenzahn zu sehen als noch vor einigen Jahrzehnten. Viele Imkerinnen und Imker beklagen dies. Zwar ist Löwenzahn eine hervorragende Nektarquelle für Honigbienen und andere Insekten, doch ist diese Pflanze auch eine Zeigerpflanze für Überdüngung. In den 1980er-Jahren war sie für Viele der Inbegriff für den Rückgang der Vielfalt in der Landschaft, denn vor und nach dem Löwenzahn blüht nicht mehr viel auf den Flächen.
Heutige Nährstoffemissionen, vor allem Stickstoff aus der Landwirtschaft, haben dazu geführt, dass sich nur noch wenige konkurrenzstarke Blühpflanzen und Gräser durchsetzen können. Doch die meisten heimischen Blühpflanzen sind an nährstoffarme Bedingungen angepasst, wie sie für den weitaus größten Teil der Geschichte auch in agrarisch genutzten Gebieten geherrscht haben. Auf überdüngten Flächen verschwinden diese und stehen auch ihren tierischen Nutzern nicht mehr zur Verfügung.
Besonders die von Massentierhaltung geprägten Teile Deutschlands sind stark von Stickstoff-Eintragungen aus der Luft betroffen, sodass auch auf ungedüngten Flächen abseits der Landwirtschaft hauptsächlich Stickstoffanzeiger wie Brennnesseln statt monatelang bunte Säume zu bestaunen sind. Für Garten- und Flächenbesitzer kommt es daher in den meisten Fällen darauf an, ihre Flächen abzumagern. Andernfalls wuchern auch sorgsam angelegte Blumenwiesen oder Säume nach kurzer Zeit wieder mit konkurrenzstarken Gräsern und Unkräutern zu.
Während im Garten- und Landschaftsbau mit großem Gerät zum Beispiel magerer und unkrautfreier Unterboden aufgeschüttet wird, kann man auch behutsamer vorgehen und eine Fläche durch das Entfernen des Mahdgutes – statt des überall praktizierten Mulchens – Schritt für Schritt abmagern. Vor dem Entfernen und Kompostieren bleibt das Mahdgut aber ein paar Tage liegen, sodass die Samen ausreifen und auf den Boden fallen können. Mit der Zeit bekommen dann auch die konkurrenzschwächeren Kräuter ihre Chance. Wichtig ist, den Nährstoffgehalt der Fläche anhand der Zeigerpflanzen vorab abzuschätzen und gegebenenfalls eine Bodenprobe in ein Labor zu schicken. Auch dürfen für die Anlage einer Blumenwiese keine vorhandenen Saumstrukturen, Brachen oder Ruderalflächen zerstört werden, die vielleicht etwas unordentlich aussehen, aber ökologisch sehr wertvoll sind.
Das richtige Störungsregime?
Auch die Mahd von Blumenwiesen und Säumen ist ein Thema für sich, aber im Groben orientiert sie sich an historische Nutzungsformen von Wiesen und Säumen. Das bedeutet: ein Mal (magere Wiesen, Säume) bis drei Mal (nährstoffreiche Wiesen) im Jahr mähen, dabei nicht zu tief und nicht mit insektentötenden Kreiselmähern, sondern mit Balkenmähern beziehungsweise der Sense nicht tiefer als zehn Zentimeter Höhe mähen, nicht alles auf einmal abmähen, sondern Abschnittweise, ruhig mal Reste stehen lassen.
Die Häufigkeit und der Zeitpunkt des Schnitts orientiert sich zum einen an der Entwicklung der Pflanzen, aber auch am Nährstoffgehalt und der (historischen) Nutzung. Während Säume, Wildblumenwiesen und Magerrasen auf nährstoffarmem Boden nur einmal im Jahr gemäht werden, sind es bei „normalen“ Blumenwiesen meist zwei Mal, einmal im Juni und einmal Herbst. Nährstoffreiche, dreischnittige Blumenwiesen werden jedoch häufig erstmalig im Mai gemäht, dann noch einmal um August und ein weiteres Mal etwa November. Daher kann die Aktion Mähfreier Mai durchaus in die Irre führen. Wichtig ist, dass ein Mahdregime jährlich nicht allzu grob verändert wird, sodass sich Pflanzen und Tiere Stück für Stück anpassen und einwandern können.
Auch wenn es kein Patentrezept für das eine richtige Mahdregime gibt, so kann man sich bei der Pflege einer Fläche sehr gut an der sogenannten Hypothese der mittleren Störungsintensität aus der Ökologie orientieren: „Einfach wachsen lassen“ und nichts zu tun, hätte auf die Dauer zur Folge, dass die Fläche verbuscht und nach und nach zu einem Wald wird. Das Endergebnis, in der Regel ein Buchenhallenwald, ist nicht sehr artenreich. Sehr häufig zu mähen, wie es in unseren Gärten und in der Landwirtschaft praktiziert wird, fördert hingegen nur wenige, hieran angepasste Gräser. Auch hier ist Artenarmut die Folge.
Besser ist es daher, sich an den begrenzten Möglichkeiten unserer bäuerlichen Vorfahren zu orientieren und die Mahd zwar regelmäßig, aber nicht zu häufig und an der Verfügbarkeit knapper Ressourcen angelehnt, durchzuführen. Ohnehin lohnt sich ein Blick in unsere Vergangenheit: Die beste Förderung von artenreichem Grünland ist wohl die extensive und ganzjährige Beweidung mit Großvieh, insbesondere robuste Rinder- und Pferderassen, wie sie auch die allermeiste Zeit unserer Geschichte praktiziert wurde. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Malte Frerick
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