Die jährliche Demonstration von „Wir haben es satt“ fiel aus, doch das Bündnis „Wir haben es satt“ machte mit einer Protestaktion vor dem Berliner Reichstag auf seine Forderungen zur Agragwende aufmerksam.
Zur Mittagsstunde formten 150 Strohballen am Berliner Reichstagsufer den klaren Aufruf an die Bundesregierung: „Agrarwende jetzt!“. 70 Meter lang und 4,5 Meter hoch ist der Schriftzug. Zuvor waren bereits rund 25 Traktoren aus dem Berliner Umland zum Bundeslandwirtschaftsministerium gefahren, um Bundesagrarminister Cem Özdemir und seinen Staatsministerinnen eine Protestnote des Bündnisses „Wir haben es satt!“ zu übergeben. Es war das erste Mal, dass die gesamte Ministeriumsspitze eine Wir-haben-es-satt-Demonstration empfing. Das Wir-haben-es-satt-Bündnis besteht aus rund 60 landwirtschaftlichen und anderen Trägerorganisationen und wird von zahlreichen weiteren Organisationen unterstützt. Es bezeichnet sich selbst als eine der größten Protestbewegungen in Europa.
Wir haben es satt: Staffellauch statt Demonstration
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Die jährliche Demonstration des Bündnisses anlässlich der Grünen Woche in Berlin, die dieses Jahr jedoch nicht stattfindet, hatten die Organisatoren aufgrund der Corona-Pandemie erneut absagen müssen. Als Ersatz riefen sie im Internet die Aktion „Staffellauch“ ins Leben, in der jeder seine Forderungen an die Agrar- und Lebensmittelpolitik in einem kurzen Video formulieren konnte. Nach Angaben des Bündnisses konnte diese Aktion 1.500 Teilnehmer zählen. „Ich habe sie nicht alle gesehen“ gab Özdemir zu, „aber die Forderungen, die ich gesehen habe, würde ich alle unterschreiben.“ Auf die Frage, ob das Bündnis ihm, der noch keine 100 Tage im Amt ist, nicht erst einmal etwas Zeit hätte geben sollen, entgegnete er: „Ich bin froh, dass Ihr hier seid und Druck aufbaut, denn es gibt auch immer Druck aus der anderen Richtung.“ Er bat jedoch um Verständnis, dass er als Landwirtschaftsminister nicht alles alleine entscheiden kann. Immerhin würden sich Agrar- und Umweltministerin nun aber nicht mehr als Gegner ansehen und zusammenarbeiten. Zudem warb er noch einmal darum, dass sich Landwirtschafs- und Sozialpolitik, unter anderem mit Blick auf faire Lebensmittelpreise und faire Löhne, ergänzen müssen.
Unfaire Preise
In einer Pressekonferenz ließen Mitglieder des Bündnisses kein gutes Haar an 16 Jahren Landwirtschaftspolitik der CDU. „Stillstand und Reformstau“, fasste Ottmar Ilchmann, konventioneller Milchbauer, der der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft angehört, die letzten Jahre der Agrarpolitik zusammen. „Alle Maßnahmen zur Pestizidreduktion wurden ausgebremst und die Probleme nicht wirklich angepackt, sodass vielen Betrieben eine Zukunftsperspektive fehlt.“ Es sei eine klare Klientelpolitik gewesen, aber nicht für die Bauern, sondern für den Handel, die Weiterverarbeiter und Zulieferer. „Die haben sich die Taschen vollgemacht“, sagte Ilchmann.
Auch Marita Wiggerthale von Oxfam, einem Verbund internationaler Hilfs- und Entwicklungsorganisationen, beklagte ein starkes Machtgefälle in der Wertschöpfungskette, in der die Bauern eine ganz schlechte Stellung hätten: „Der Handel machte Rekordumsätze von plus 17 % während der Pandemie. Gleichzeitig macht er aber mit seiner ruinösen Einkaufspolitik weiter. Edeka, Aldi, Lidl und Co bestimmen die Preise.“ Sie forderte vom Landwirtschaftsminister, entlang der gesamten Lebensmittelkette den Einkauf zu Preisen, die unter den Produktionskosten liegen, zu verbieten, um die Margen innerhalb der Kette zu verschieben. „Solange die Preisbildung von oben nach unten erfolgt, wird es keine Fairness im Lebensmittelhandel geben“, sagt Wiggerthale. Sie forderte darüber hinaus ein Gesetz gegen Kartellstrukturen im Lebensmittelhandel. Saskia Richartz, Sprecherin des Bündnisses sagte in Hinsicht auf gerechte Preise: „Fair Trade ist ein gutes Konzept bei Lebensmittelimporten, aber wir brauchen das auch hier in Deutschland!“
Agrarwende: Kein Bio gegen konventionell
Für Tina Andres vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft steht die Biolandwirtschaft für einen Wechsel vom Acker bis zum Teller. „Sie ist auch ein Weg heraus aus der Preisfalle“, führte sie aus. „Wenn wir es richtig rechnen, bietet es ein gutes Einkommen.“ Bioprodukte haben in Deutschland inzwischen einen Marktanteil von sechs Prozent, wobei vor allem Produkte wie Milch, Eier und Mehl gut laufen und sogar Anteile von 11–14 % erreichen. Milchbauer Ottmar Ilchmann wies aber auch darauf hin, dass die Zeiten von „bio gegen konventionell“ aus seiner Sicht vorbei seien: „Es geht heute um bäuerlich geführte Betriebe gegen Großbetriebe von Investoren. Wenn alle etwas weniger Dünger und Pestizide ausbringen, hat das sicherlich einen größeren Effekt, als wenn ein bestimmter Prozentsatz der Höfe auf bio umstellt.“
Spie
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