Auf einer wackeligen Leiter über den Felsklippen hängend, ernten die Honigjäger in Nepal die Waben der größten Honigbienen der Welt. Silke Beckedorf war im Jahr 2009 dort, und hat ihre Eindrücke in einer Reportage festgehalten.
Seit seinem 24. Lebensjahr klettert Nakkal Gurung den Bienen nach. In schwindelerregender Höhe hängt der Honigjäger in der Leiter, unter ihm die steil abfallende Klippe, um ihn herum wütende Bienen. Uns, den aus Deutschland angereisten Imkerinnen und Imkern, verschlägt der Anblick den Atem. Die Bienen sind um einiges größer als zu Hause, und Imkerei so nah am Abgrund, das gibt es bei uns allenfalls im übertragenen Sinne.
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Die Tradition der Honigjagd besteht schon lange in der Gegend, mindestens 300 Jahre allein in Landruk. Zweimal jährlich schneiden die Jäger die frei hängenden Waben der Riesenhonigbiene von den Felsen. Der richtige Zeitpunkt ist gekommen, kurz bevor sich die Bienen wieder auf Wanderschaft begeben, um höher in die Berge oder tiefer ins Tal zu ziehen. Jetzt, im November, steht die Winterwanderung bevor. Der Dorfpriester legt den günstigsten Tag für das waghalsige Kletterspiel fest. Dienstage gelten als günstig – so ist es auch dieses Jahr.
Honigjäger in Nepal: „Ohne göttlichen Segen geht niemand in den Fels“
Nach Nakkal Gurung wird heute Khadka Magar Pun in die Leiter steigen. Auch er arbeitet schon viele Jahre als Honigjäger. Noch sitzt er entspannt im Gras und flicht Schnüre, mit denen er seine über zwei Meter langen Bambusstangen an die Leiter binden wird. Wie überdimensionale Essstäbchen wird er die Stöcke später benutzen, um damit die Waben am Fels aus ihrer Verankerung zu lösen. Ohne göttlichen Segen geht niemand in den Fels. Ananda Sharma, der Pujari oder Dorfpriester, sorgt dafür, dass die Götter den Honigjägern wohlgesonnen sind. Welche Götter genau, lässt sich nur schwer ermitteln. Der Bön-Religion folgend, dem tibetischen Vorläufer des Buddhismus, wohnen in Felsen und Flüssen Dämonen. Mit Opfergaben stimmt Ananda Sharma sie gnädig. Dafür betet er zu Shiva, einer hinduistischen Gottheit.
ln Badelatschen oder Gummistiefeln, bepackt mit der Strickleiter, Körben, Stäben und Seilen, schreiten die Männer den schmalen Trampelpfad entlang, der zu der Stelle über den Waben führt. Ganz nahe am Abgrund schlängelt sich der Weg auf abschüssigem Boden; dünne Bäume verdecken nur notdürftig die Sicht auf die Abbruchkante, hinter der es achtzig Meter in die Tiefe geht. Zehn Minuten später zurren die Männer die Leiter mit Stricken in den Bäumen fest, dann schnurrt das Flechtwerk den Hang hinunter. Khadka Magar Pun, gekleidet in einen blauen Overall, bindet sich einen Strick um den Oberkörper und steigt hinab zu den teils übermannsgroßen Waben. Von oben wird ein brennendes Bündel aus Stöcken und Blättern hinabgelassen.
„Nach wenigen Sekunden bricht das massive Bauwerk von der Wand“
Die deutschen Imkerinnen und Imker halten den Atem an und schauen zu, wie der Honigjäger es unter den Waben schwenkt. Die Bienen brausen auf, umschwirren den ruhig in der Leiter sitzenden Mann. Als die Wabe fast frei ist, sticht der Jäger einen Bambusstab hinein. Er führt damit ein kleines Querholz durch die Wabe, an dem ein Strick befestigt ist. Mit zwei Hölzern und zwei Seilen verankert er die Wabe. Die anderen Enden der an den Hölzern befestigten Seile halten die Männer oben auf dem Felsen in den Händen. Auf seinen Zuruf beginnen sie zu ziehen, während Khadka mit dem Bambusstab eine Bruchkante in die Wabe sticht. Nach wenigen Sekunden bricht das massive Bauwerk von der Wand. Nur durch die beiden Querhölzer getragen, schwebt die Wabe in der Luft. Die Männer ziehen sie unter lauten Rufen hinauf.
Honigjäger ernten 15 Liter Honig
Am Ende des Tages haben die Honigjäger drei Waben geerntet und fünfzehn Liter Honig daraus gewonnen – eine vergleichsweise bescheidene Ernte. Der Honig wird oben auf der Klippe gefiltert und in Plastikflaschen abgefüllt. Am nächsten Tag beobachten wir das atemberaubende Treiben noch ein paar Stunden, dann ziehen wir weiter, das schneebedeckte Annapurna-Massiv im Rücken. Honig von den wilden Bienen des Himalajas haben wir im Gepäck. Er schmeckt aufregend und fruchtig, aromatisch und ein bisschen herb, so wie die wilde Landschaft, in der die Bienen den Nektar sammeln.
Fotos und Text: Silke Beckedorf
- Auch Redakteurin Saskia Schneider war 2019 in Nepal – ihre Reiseendrücke hat sie hier festgehalten>>>
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- Die ARTE-Dokumentation „Die Bienenflüsterer – Nepal, die Riesenbiene der Gurung“ liefert tolle Bewegtbilder der Honigjagd im Annapurna-Massiv>>>
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