Krieg in der Ukraine: Ein Imker, der aus Kiew floh
Der Krieg in der Ukraine erreiche am 24. Februar 2022 eine neue Eskalationsstufe. Oleksander Tsevklidse, 61, Imker seit 20 Jahren, floh Ende Februar von Kiew nach Deutschland. In Berlin lebt seine Tochter Nataliya Gorubtseva, die ihn bei sich aufnahm und ermutigte, Anschluss bei Imkern in der Region zu suchen. Einer, der helfen will, ist Holger Ackermann (links im Bild).
Es regnet an diesem trüben Tag in Storkow, südöstlich von Berlin. Oleksander Tsevklidse trinkt ein Glas Schwarzen Tee. Der 61-Jährige wirkt in sich gekehrt. Mit ihm am Tisch sitzt seine Tochter Nataliya Gorubtseva, der Imker Holger Ackermann sowie ein Redakteur und ein Kameramann vom Rundfunk Berlin-Brandenburg. Sie wollen heute einen Fernsehbeitrag drehen – über ihn, den ukrainischen Imker, der den Gesprächen nicht folgen kann, weil er kein Deutsch spricht. Gorubtseva, 41 Jahre alt, versucht zu übersetzen. Sie lebt seit 16 Jahren in Deutschland und arbeitet als Buchhalterin. Ihr Mann kommt aus Deutschland. Ihren Vater hat sie Ende Februar in Polen abgeholt. Er hatte drei Tage mit dem Zug von Kiew bis dorthin gebraucht. Mittlerweile wohnt er in ihrem Gartenhaus im Landkreis Oder-Spree.
Der Brandenburger Imker musste nicht lange überlegen
Holger Ackermann hat das Treffen organisiert. Er ist Obmann für Öffentlichkeitsarbeit im Landesverband Brandenburgischer Imker. Gorubtseva hatte ihn kontaktiert. Ihr Vater imkere seit 20 Jahren, sie wolle ihm helfen – die Bienen könnten ihn vielleicht ablenken. Ablenken vom Schmerz, nicht mehr zu Hause sein zu können, in der Region Sumy. Ob man ihm nicht weiterhelfen könne, fragte sie. Der Brandenburger Imker musste nicht lange überlegen.
In Ackermanns Kofferraum steht eine Beute. Diese Hohenheimer Einfachbeute, blau-gelb gestrichen, ist für Oleksander Tsevklidse bestimmt. Das Auto parkt an der Europaschule in Storkow. Auf dem Grundstück steht ein Bauwagen, den Jugendliche ausgebaut und mit Holz verkleidet haben. Ein „grünes“ Klassenzimmer soll daraus werden. Ackermann und Tsevklidse heben die Zargen, den Deckel und den Boden aus dem Auto. Der rbb filmt sie dabei. Die Beute bringen sie in den Bauwagen. Bis jetzt war Tsevklidse eher still, aber im Bauwagen kommt er ins Sprechen. Er erklärt, wo man das Bienenvolk platzieren müsse. Bienen und Holz: Das waren in den letzten Jahrzehnten seine Leidenschaften. Bis zuletzt konnte er sich als Tischler und Imker seine Rente aufbessern. Oft ist er für seine Bienen oder Tischlerei-Aufträge nach Kiew gefahren, 400 km von seinem Wohnort bei Sumy entfernt. Auch am 24. Februar 2022, am Tag des Kriegsbeginns, arbeitete er gerade in Kiew.
Holger Ackermann wohnt nicht weit, etwa fünf Minuten Autofahrt, von der Europaschule entfernt. Unter seinem schützenden Carport – es regnet immer noch – zünden die Imker einen Smoker an. Sie wollen mit dem Filmteam zu den Bienen gehen. Auch wenn es kalt ist, öffnen sie den Deckel einer Beute, die Folie bleibt drauf. Tsevklidse zeigt einen Daumen nach oben. Das Volk sieht gut aus. Er legt seine Hand auf die Folie. Die summenden Bienen zaubern ihm ein Lächeln ins Gesicht. Er wird dieses Volk nicht bekommen – aber ein anderes, das ihm Ackermann organisieren wird.
Krieg in der Ukraine: 24 Völker hielt Oleksander Tsevklidse zuletzt
24 Völker hielt Oleksander Tsevklidse zuletzt. Er hatte einen Bienenstand sowohl in seinem Dorf in der Region Sumy als auch in Kiew. „Die Honigernte war in Kiew immer besonders gut“, weiß Gorubtseva. „Es gibt viele Parks mit Bäumen und eine Reihe an Blühpflanzen.“ Wahrscheinlich haben drei Bienenvölker den Winter nicht überstanden. Das wissen die beiden von dem Imkerpartner, der dortgeblieben ist. Der 40-Jährige will sich um Tsevklidses Bienen kümmern.
Mittlerweile ist der Dreh vorbei, Gorubtseva und ihr Vater, der nicht ihr leiblicher ist, wärmen und stärken sich im Restaurant. Wenn er nichts sagen muss, sagt Tsevklidse nichts. Seine Tochter übersetzt nicht alles für ihn, nur Fragen, die sie selbst nicht beantworten kann, stellt sie ihm direkt. Zum Beispiel zur Apitherapie: Tsevklidse beschäftigt sich seit 2015 damit und baut kleine Apitherapie-Hütten, in denen sich mehrere Völker und ein Bett befinden (s. Fotos). Er hat sie für sich selbst und befreundete Imker angefertigt. Umgerechnet etwa 2.000 Euro berechnete er für eine Hütte. Einträglicher war jedoch der Verkauf von Honig.
Mit etwa sieben anderen Imkern ging Tsevklidse jedes Jahr von Mitte Mai bis Mitte August auf Wanderschaft mit den Bienen. Jeder der Imker lud seine Völker auf den gemeinsamen Anhänger, der nacheinander zu verschiedenen Trachten gefahren wurde: Erst zur Rapsblüte, dann zur Robinie, weiter zur Waldtracht, zur Sonnenblume und zuletzt zum Buchweizen. Die Wanderplätze, so übersetzt Gorubtseva, würden die Imker schon seit 40 Jahren anfahren. Imkervereine gäbe es nicht, aber man halte auch so zusammen. Abwechselnd zögen die Imker mehrere Tage oder Wochen am Stück zum jeweiligen Stand und würden auf alle Völker aufpassen – falls mal eins schwärmt oder um zu verhindern, dass welche gestohlen werden. Zum Schlafen und Essen stünden Wohnmobile an den Ständen (s. Fotos). „Die Imker haben die Zeit dort immer sehr genossen. Sie haben nicht nur geimkert, sondern auch gefischt und sind durch den Wald spaziert“, übersetzt Gorubtseva.
Krieg in der Ukraine: „Meine Familie will wieder zurück.“
Diese Zeiten sind jetzt in weite Ferne gerückt. „Meine Familie will wieder zurück“, sagt Gorubtseva. Sie ist sich bewusst, dass es erst einmal kein Zurück gibt. Zu ihrer Familie gehört auch ihre Schwester, die zusammen mit dem Vater aus Kiew floh, und ihr 25-jähriger Sohn aus erster Ehe. Mit 15 ging er von Deutschland zurück in die Ukraine. Anfang des Jahres bat ihn Gorubtseva, wieder nach Deutschland zu kommen: „Ich hatte eine leise Vorahnung, was passieren könnte.“ Daraufhin flog er mit seiner Freundin von Kiew nach Berlin.
Dann gibt es noch Gorubtsevas Mutter: Die, die eigentlich nichts mit Bienen am Hut hat. Zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns war sie in ihrem Zuhause in Sumy. Es dauerte nicht lange, gerade mal zwei Tage, und Truppen versperrten den Weg aus der Region. Wochen vergingen, bis Gorubtseva einen Taxifahrer aus Kiew damit beauftragen konnte, die Mutter aus Sumy zu holen. „Nimm nur das wichtigste mit!“, bat sie ihre Mutter. Die Mutter kam Ende März an der polnischen Grenze an. In ihrer Tasche: drei Heiligenbilder, zwei Katzen inklusive Katzenfutter und – Frühtrachthonig. Ein ganzes Kilo.
arn
Dem Beitrag vom rbb finden Sie hier>>>
Wie ist die Situation ukrainischer Imkerinnen und Imker? Wir hatten Kontakt zu einigen von ihnen. Nachzulesen in Ausgabe 5/2022 des dbj>>>